Christian Lippuner

Vernissagerede: Jubiläumsausstellung 10 Jahre 10 Künstler

im Museum Rosenegg am Sonntag, den 19.06.2016.
Gehalten von Helga Sandl

Es ist mir eine Ehre heute die Laudatio zu dieser Jubiläumsausstellung halten zu dürfen. Mein herzlicher Dank gilt Heidi Hofstetter, danke dir, dass du an mich gedacht hast und mich hierher eingeladen hast.

Vielen Dank auch an Philipp Mahler, der gemeinsam mit den ausgewählten Künstlerinnen und Künstlern die Werke zusammengestellt hat und für jedes Exponat den passenden Platz im Haus fand.

Natürlich auch Dank den Künstlerinnen und Künstlern!

Diese 10 ausgewählten stehen stellvertretend für die Ausstellungen und Aktivitäten der letzten 10 Jahre im Museum Rosenegg.

Die Idee der Ausstellung war, das ganze Haus mit einzubeziehen, so erklärte mir Philipp Mahler und das ist wirklich gelungen. Deshalb auch finden sich Werke nicht nur in den drei Wechselausstellungsräumen, sondern auch in den anderen Räumlichkeiten: Im Untergeschoss, dem ehemaligen Luftschutzraum, im Altbau und auch im Erdgeschoss in der Dauerausstellung.

Verraten kann ich oder besser will ich nicht mehr als, dass sich allein im Altbau 17 Exponate "eingeschlichen" haben und im Erd- und Untergeschoss sind es weitere 9 Werke, die es zu entdecken gilt. Manche findet man leicht, andere passen sich so gut in die historische Situation ein und in das Thema des jeweiligen Raumes an, dass man sie leicht auch übersieht. Man muss also ein bisschen genauer gucken beim Durchwandern der Räume.

Aber das ist noch nicht alles: Denn schon auf dem Weg ins Museum, im Vorgarten und auf der Seite hin zum Hof geleiten uns Plastiken.

Es gilt also für uns alle, auf eine Entdeckungsreise zu gehen, hinauf, hinunter, hinaus und wieder hinein, durch den gesamten Komplex hindurch.

Vielfältig sind die Sparten und Techniken der zeitgenössischen Kunst, die hier gezeigt werden: Bronzeplastiken, Installationen, Videos, Zeichnungen, Malerei, Fotografie, Gouachen.

Auch die hergestellten Bezugnahmen sind vielfältig: Teile der Werke nehmen Bezug zum Gebäudeensembles als Ganzes auf, andere setzen Bezugspunkte zur historischen Funktion als ehemaliges Primarschulhaus , wieder andere stellen Verbindungen zu den ausgestellten Werken und Themen in den anderen Dauer- und Sonderausstellungen her. Die wohl wichtigste Beziehung aber ist die Regionalität aller hier gezeigten Künstlerinnen und Künstler selbst.

Mitenand - durenand -usenand - nebedenand

Dies ist eigentlich der Titel der Dauerausstellung im ehemaligen Luftschutzraum, in dem die Grenzlage von Kreuzlingen und Konstanz, und die Beziehung der Bewohner zueinander thematisiert wird.

Dieser Titel aber passt wunderbar auch auf diese Ausstellung. Es ist ein grosses Spiel der Reflexionen und des Reflektierens und zwar:

Mitenand - durenand -usenand - nebedenand.

Man kann die Ausstellung in ihrer Gesamtheit als eine Art künstlerische Intervention betrachten, denn sie greift in die bestehenden Zusammenhänge innerhalb des Hauses ein und setzt sich mit den hier verhandelten Themen auseinander.

Dieses Wechselverhältnis zwischen Vorhandenem und Neuem kann im Kleinen zum Vorschein kommen aber auch auf einer Metaebene verhandelt werden.

So haben wir auch ein "Ein Museum im Museum". Mit der musealen Praxis und auch dem grossen System der Bezugnahmen setzt sich Judith Villiger in ihren Installationen auf sehr individuelle Weise auseinander.

In ihrem "Miniaturmuseum" präsentiert sie uns ihre persönlichen Schlüsselwerke aus der Kunstgeschichte. Es ist eine Zitationskunst. Die Vorbilder, die grossen Werke der Kunst werden angedeutet und verschlüsselt in ihrem Modellcharakter präsentiert. All unser Wissen, unsere Erkenntnis erwächst zwischen Vergessen und Erinnern, zwischen Produktion und Reproduktion, zwischen Rekonstruktion und Neuinterpretation.

Reflexion bedeutet vom Wortursprung her auch "Beugung", "biegen" und "krümmen", sich etwas also für seine Zwecke zurechtbiegen oder sich selbst hin- oder zurückbeugen. Das kann rein theoretisch-formal verstanden werden oder aber auch die reale Form und das Material selbst betreffen.

Was hat es auf sich mit den "Ikariden" und "Blättern" von Ursula Fehr? Es sind geformte Bronzeplastiken. Die Künstlerin benutzt ein altes Material, ein Material mit einer langen Geschichte, und auch der Mythos von Ikarus hat seinen Ursprung lange vor unserer Zeit in der griechischen Antike. Auch diese Plastiken sind eine persönliche Hinwendung zur Geschichte in Form einer Interpretation und Weiterentwicklung. Die geflügelten Mischwesen der Künstlerin können nicht fliegen, weil sie als Zwitterwesen neben ihren Flügeln auch Wurzeln haben und damit verankert sind.

Zwischen stehend und fliegend, zwischen Realität und Traum, zwischen Hoffnung und Verzweiflung, zwischen Tod und Leben, sind sie gebunden, aneinander gebunden, miteinander verwachsen, nach Freiheit strebend, und doch so unfrei. Der Übermut, der Hochflug des Ikarus setzt sich auch in den Generationen danach, den "Ikariden" weiter fort. Der Versuch der Überwindung unserer körperlichen und geistigen Grenzen mit mechanischen und wissenschaftlichen Hilfsmitteln, mit unserem Erfinder- und Entdeckergeist führt uns doch immer und immer wieder auf den Boden zurück.

Bleiben wir also erstmal sicherheitshalber auf dem Boden, steigen die Treppen nun weiter hinauf, öffnen die Tür und treten in das Museum Rosenegg ein.

Und als Erstes begegnen wir unserer Landschaft, dem Bodensee, dem Rhein. In der grossformatigen dreiteiligen Hinterglasmalerei von Richard Tisserand sehen wir Pinselstrich für Pinselstrich wie eine uns bekannte Landschaft entsteht; wir überblicken die gesamte Gegend, den Seerhein durch dessen Mitte unsichtbar die Schweizerisch-deutsche Staatsgrenze verläuft. Die Gegend ist fast zu schön, fast zu idyllisch und zu romantisch, um wahr zu sein.

Wir blicken hinunter auf die Welt unserer Heimat, die sich klar abzeichnet und doch verklärt wirkt, als wäre sie in Auflösung begriffen.

Der Künstler versetzt uns als Betrachter in die Position der Rückenfigur, wie wir sie von romantischen Gemälden her kennen. Diese Figur hat die Klippe oder den Berg erklommen und geniesst nun die erhabene weite Aussicht voller Ehrfurcht. Und wir werden selbst zu dieser Rückenfigur eines Caspar David Friedrich und betrachten die vom buntschillerndem Blätterwald unter uns sich ausbreitetende vertraute Landschaft.

Wir sind drinnen und doch draussen. Diese Umkehrung der Verhältnisses nimmt weiter ihren Lauf, von Raum zu Raum, hinüber, hinauf oder hinunter.

Mittendrin stehen wir dann zwischen dem "Glauben an Freiräume" und den Räumen mit den schlichten Nummern 3, 4, 5 und 6.

Wir befinden uns in einem Zwischenreich, in dem sich uns neue Räume, Einblicke und Ausblicke eröffnen. Die Raumbilder von Ede Mayer sind menschenleer. Nur die kahlen Wände, die Fenster- und Türöffnungen, die Raumfluchten weiten die Wände des Museums und führen uns weiter in eine imaginäre Raumlandschaft. Es sind architektonische Versatzstücke, Teilansichten von Innenräumen, die nichts anderes vortäuschen als eine Atmosphäre, eine Stimmung. Über sanfte Farbtöne verdichtet sich diese Atmosphäre zu Farbräumen, die mit ihrer Tonalität auf den Umraum zurückstrahlen.

Zwischendrin, zwischen dem ersten und dem zweiten Raum, auf dem Weg zum nächsten Bild, zwischen dem Farbraum und dem realen Museumsraum stehen wir vor einem weiteren grossen Tafelbild:

Verwischte Spuren von Kreide, Architektursegmente aus einfachsten Elementen zusammengesetzt, die im Rhythmus der Wiederholung einzelner Formen Türme, Dächer und Gitterstrukturen ergeben. Hingekritzelt wie von Schülerhand mit weisser und farbiger Kreide. Die Lehrerin war wohl kurze Zeit nicht im Klassenzimmer und es gibt doch immer ein Kind, das frecher ist als die anderen, sich die Kreiden schnappt, um sich an der Tafel auszutoben. Ein Schülerscherz? Nur ein flüchtiger Spass, der schnell wieder mit dem nassen Schwamm ausgelöscht werden kann? Ja und nein: Christian Lippuner kreiert Gedankengebäude, geistige Räume. Wie ein lose gewebtes Netz lässt er Möglichkeiten und Assoziationen spielerisch aufscheinen. Es sind Räume für kreative Freiheit, für die Probe und nicht für den Ernstfall komponiert.

Eben weil sie ganz schnell wieder verwischt und ausgelöscht werden könnten, fällt es uns leicht, Gedankenexperimente zu wagen, weil das skizzierte nicht sofort Konsequenzen in der realen Welt hat, sondern nur eine Art Probestück ist, lassen sich hier an dieser Tafel alle Möglichkeiten durchspielen, lässt sich die Spannung zwischen Linie und Fläche, zwischen richtig und falsch zwischen Umriss und Volumen und zwischen real und gezeichnet mit Leichtigkeit aushalten. Der spielerische Zugang zur Welt und die Spontaneität im kreativen Akt bergen Potentiale, die Erwachsene oft unterdrücken. Hier können wir von unseren Kindern lernen.

Stellen wir uns nun vor, die Lehrerin kommt wieder in das Klassenzimmer zurück, sieht diese Tafel und macht natürlich "tabula rasa".

Machen wir also auch einmal wieder "tabula rasa" und tun so, als ginge das, als gäbe es diese unbeschriebene Tafel, dieses leere Blatt Papier. Alles weggewischt, ausradiert. Was bleibt?

Die Linien auf der alten Schultafel, der Zeigestock, der auf die Leere deutet, auf den Raum zwischen den Zeilen, da wo ein Buchstabe eingeübt werden soll, wo die ersten Zeichen noch unbeholfen von Schülerhand dem Beispiel des Lehrers folgen wollen und müssen. Wir erinnern uns an das Quietschen der Kreide auf dem Tafelgrund und erschauern auch jetzt beim Gedanken daran. Es ist ein in Urzeiten in uns angelegtes und immer noch vorhandenes Alarmsignal. Das Quietschen bedeutet potentielle Gefahr und verursacht noch heute instinktiv negative Gefühle. Es ist ein Schutzmechanismus, der ausgelöst wird.

Kein "tabula rasa" also! Uns ist schon immer etwas mitgegeben, es ist immer schon etwas als Bezugsystem vorhanden, als Basis und sei es nur ein instinktives Wissen und Handeln, das seine ursprüngliche Funktion schon längst verloren hat.

Aber das alles passiert nicht auf dem Bild selbst, sondern in unsere Erinnerung, in unsern Gedanken. Noch steht dort nichts geschrieben. Lesen wir also weiter zwischen den Zeilen:

In Phillip Mahlers Stilleben ist es diese Suche nach dem Ursprung, einem Zustand, in dem die Seele noch frei ist von allen äusseren Einwirkungen. Es ist eine Traumvorstellung, eine Phantasie, mit der sich der Künstler immer wieder in die reale Welt einschleicht. Jenseits des kritischen Denkens, jenseits der Rationalität, vor aller Zeit und doch sind die äusseren Rahmenbedingungen bereits gegeben - vorgegeben: die Tafel, die Kreide, die Linien, der Zeigestock: Uns bleibt keine Wahl!

Denn schon längst gehen wir in der Lehre des Lebens, wir müssen und wir wollen lernen, wir müssen die Zwischenräume füllen, deshalb sind wir hier.

Es ist dieser absurde Handlungsspielraum, diese immerwährende Ambivalenz zwischen der Freiheit unserer Entwicklung und den vorgegeben Rastern der Gesellschaft unsere eigene Handschrift zu finden und unser eigenes Lebensbild zu entwerfen, es zu skizzieren und in bunten Farben auszumalen im festen "Glauben an Freiräume", die uns erlauben, alles wieder zu löschen, um neu zu beginnen.

Ich weiss nicht, wie es bei Ihnen ist, aber bei mir persönlich sind es durchaus sehr gemischte Gefühle, wenn ich an meine eigene Schulzeit zurückdenke. Oft vermischt sich das Schöne mit dem Schrecklichen, das gemeinsame Erleben und Arbeiten trifft auf die Einsamkeit, in das Lachen mischt sich Traurigkeit und Wut - vor allem bei einer eher faulen Schülerin, die lieber aus dem Fenster guckte als an die Tafel.

Die Werke von Giancarlo Bolzan sprechen von dieser Zerrissenheit, von den gemischten Gefühlen, die wie die einzelnen Schichten auf seinen Gemälden sich gegenseitig überlagern und durchdringen, wo eine Form die andere überschneidet, verdrängt oder sich mit ihr verbindet.

Der Teddybär, das Symbol einer glücklichen Kindheit, der Gefährte, der beschützt und den man beschützt, mit dem man Zwiesprache hält. All seine Geheimnisse, Wünsche, Nöte und Ängste werden ihm anvertraut. Der, der nichts ausplaudert oder uns verrät - weil er nicht kann.

Der, der alles geduldig erträgt, der, der die ganze Last eines kleinen Menschenlebens auf sich nimmt, in sich trägt - weil er nicht anders kann.

Und so sieht er dann auch aus.

Giancarlo Bolzans Teddys sind geschundene Kreaturen, Manifestationen von Alpträumen, von unserem inneren Kampf mit uns selbst und dem mit der Aussenwelt.

Die leidenschaftlich von ihren Besitzern Geliebten kranken und leiden an der Last dieser Liebe. Der erbarmungslos fast zu Tode Geknuddelte ist wehrlos. Als Mahnung appelliert der Teddy an unser Mitleid. Nur unser Mitleid kann ihn retten oder nicht mal das? Müssen wir ihn vielleicht gewaltsam aus seinem Gefängnis befreien, seine Ketten regelrecht sprengen?

Immer griffbereit setzt Markus Brenner zum plakativen Befreiungsschlag an. Auf Hochglanz poliert inszeniert er in seinen Fotografien das undurchschaubar Fremde: Selbstbewusst blickt uns ein Mann entgegen, bewaffnet mit prickelndem Feiergetränk, das gleich samt und sonders in die Luft gejagt werden könnte. Es geht um die Ununterscheidbarkeit dessen, was harmlos ist und was gefährlich ist: Ist dies ein Wolf im Schafspelz oder ist dies ein Schaf im Wolfspelz? Potentiell steckt alles in jedem von uns, zu jeder Zeit.

Zwischen Selbstdarstellung und Fremdwahrnehmung, zwischen Fahndungsphoto und Selbstinszenierung stehen wir vor einem fast unlösbaren Dilemma: Der Entscheidung: Was ist Schein und was Wahrheit? Zwischen Korkenknallen und Waffenschüssen werden die Grenzen verwischt, nichts ist klar, nichts ist abgrenzbar, nichts ist eindeutig der einen oder der anderen Seite zuzuordnen.

Da kommt ein hochpolitisches Thema als Werbekampagne daher. Feinsäuberlich in Szene gesetzt, mit allen Raffinessen ausgestattet, und so versetzt der Künstler uns in einen instabilen Bereich zwischen Macht und Ohnmacht. Die Photographie ist die Projektion unserer eigenen Zweifel, denen wir in die Augen sehen: klar provokant, direkt, absurd. Im Fokus steht leibhaftig der immerwährende Zweifel am System als System.

Diese systematische Hinterfragung der eigenen Position, die fortwährende Reflexion als Reise in das innere Ich, zum Mittelpunkt des eigenen Grundes, um nie gesehenen Welten, tiefen Schluchten und unergründliche Seen in uns selbst zu erkunden, über alle Grenzen hinweg - wie dieser Weg aussehen kann, zeigt uns zwischendrin Judith Villiger.

Dieser Weg aber ist nicht leicht, ja manchmal sogar verstellt vom Dickicht unserer Gedanken, die wie dornige Brombeerhecken den Weg versperren, ihn unpassierbar machen und uns zum Anhalten zwingen. Durch diese Hecken führt kein Weg.

Matthias Holländers Gouachen muten in ihrer künstlerischen Haltung überzeitlich und hyperrealistisch an. Bildfüllend sind es filigrane Verästelungen und Verzweigungen, die uns als Hindernis den Weg versperren. Es ist aussichtslos hier voran zu kommen. Das dichte Gewirr bringt uns körperlich an Grenzen, geistig aber erfahren wir in der Fülle dieser Verzweigtheit eine eigene feine Spur, nehmen eine bizarre Ordnung wahr, fühlen eine naturwüchsige Kraft, eine zeichenhafte Lebendigkeit.

Trotz aller Verstrickungen lichtet sich das Gespinst nach oben hin oder ist von einer Art lichtem Schimmer durchwoben und durchzogen;

Vom Sehen zum Erkennen, dass wir sehen und vom Denken der Natur zur Natur des Denkens führt uns dieser geistige Weg. Es ist der Übergang vom Mythos zum Logos .Diese Bilder vermitteln zwischen der Idee und der Wirklichkeit und führen uns in eine metaphysische Dimension.

Mit Aristoteles Worten würde ich seine Werke als "transzendentalen Realismus" beschreiben. Denn wir werden beim Betrachten seiner Bilder auf unsere eigene Wahrnehmung zurückgeworfen. In morbider Schönheit präsentiert uns der Künstler eine vorgestellte Wirklichkeit, die fast zu nahe an der Realität ist, und genau deshalb in die Irrealität der Reflexionsebene umschlägt.

Diesem vollendeten Chaos des Natürlichen steht das scheinbar Unvollendete gegenüber. Gezeichnet sind alle Werke von Otmar Eder. Gezeichnet mit weichem Bleistift oder Farbstiften. Oft täuscht er uns vor, wir hätten es mit einer grafischen Arbeit zu tun, einem mehrfarbiger Siebdruck beispielsweise, bei dem uns das Ergebnis nach dem ersten Druckvorgang mit der ersten Farbe präsentiert wird. Nicht ganz abgeschlossen, nicht ganz fertig, eben unvollendet wirken seine Werke und doch nicht; es bleiben Leerstellen im Bild, Auslassungen, Weglassungen, Fragmente. Wir sehen einen abgebrochenen Prozess:

Statt der zweiten Farbe, fügt der Künstler jedoch eine zweite leicht verschobene Perspektive, einen zweiten Ausschnitt desselben Grundmotivs hinzu. Zwei Perspektiven werden zu einem Gesamtbild komponiert.

Auf einem anderen Bild sehen wir durch eine durchscheinend blassblaue quadratische Fläche hindurch. Ist das unsere subjektive Färbung, unser Filter, durch den hindurch wir die Welt wahrnehmen? Die "Brille" die alles in ein eigenartiges, individuelles Licht taucht, durch die unsere Blick gebrochen und auch getrübt wird, die uns nur sehen lässt, was wir bereits kennen und die uns die Sicht auf anderes verstellt? Nur Bruch- oder Teilstücke, Umrisse, blasse Ahnungen lässt sie uns sehen.

Es ist unsere eigene Kultur, unser Lebensumfeld, unserer Sprache, unsere, Landschaft, die uns prägt und unseren Blick leitet und auch begrenzt.

Unbewusst spielt die Geschichte der Besiedlung durch die Ackerbauern, die Kirchenspaltung vor 600 Jahren, spielt die Grenzverschiebung und Grenzziehungen auch in unser heutiges Leben hinein.

Wir sind irgendwo immer noch die Bauern, die hier siedelten und ihren Hof nicht verlassen durften und die nicht an einen anderen Ort ziehen durften, weil sie ihrem Herrn gehörten. Leibeigene. Die Geschichte ist uns eingeschrieben und gleichzeitig schreiben wir sie auch manchmal um, beugen sie gerne mal und machen sie uns zu Nutze - und wir schreiben und gestalten sie weiter - immerfort.

Zur Ahnengalerie historischer Persönlichkeiten der Region gesellen sich deshalb auch die Künstlerpersönlichkeiten dieser Region. Geschichte durchzogen von Geschichten mäandert durch alle Räume des Museum Rosenegg.

Und sicher werden Sie noch viel mehr Bezüge entdecken, als ich hier nennen konnte.

Und diese Vielheit der Perspektiven, die vielen unterschiedlichen Blickwinkel und Reflektionsebenen machen in ihrer Gesamtheit möglich, dass jeder Einzelne von uns trotz seiner eingeschränkten Sicht eine Art Überblick zu erhaschen vermag - nur für einen Moment, um dann wieder einer neuen Sichtweise, einer neuen Spieglung und Reflektion zu weichen, die alle andern ergänzt und bereichert und weiterentwickelt und verändert.

Und das alles geschah und geschieht in diesem Haus seit 10 Jahren:

Mitenand - durenand -usenand - nebedenand

Und diese Geschichte des Musuem Rosenegg ist noch nicht zu Ende formuliert. Wir blicken gerne zurück. Wir verweilen gerne im Jetzt. Wir freuen uns auf das, was noch kommt.

Vielen Dank

Helga Sandl